Käse, dieses stolze Produkt aus Milch, Zeit und Geduld – ein Monument europäischer Kulturgeschichte. Und dann kommt da plötzlich dieser Mozzarella daher, der sich verhält wie ein labbriger Teenager in der Pubertät: weich, formlos, ständig unter Druck. Pasta Filata nennt sich das Verfahren, bei dem der Käse gezogen wird wie Kaugummi im Sommer – und manchmal schmeckt er leider auch so.
Aber halt, nicht gleich das Käsemesser wegwerfen. Denn irgendwo in Apulien hat sich vor nicht allzu langer Zeit ein cremiger Rebell in die Käsetradition geschlichen: die Burrata. Aussen Mozzarella, innen Butterträume. Ein Käse mit doppeltem Boden – wie gemacht für Instagram und Innenstädte mit Prosecco-Balkon. Und plötzlich taucht sie auch in der Schweiz auf. Ja, tatsächlich: Burrata aus Freiburg. Wer hätte gedacht, dass Heidi mal ihre Alp verlassen würde, um sich in Pasta Filata zu verlieben?
Und so stehen wir da, im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt, halten die vakumierte Kugel Gummimilch in der Hand und fragen uns: Ist das Käse oder kann das weg? Und warum schmeckt Burrata frisch so göttlich – aber eingeschweisst wie ein trauriger Turnschuh?
Dieser Blog nimmt dich mit auf die Spuren der ziehbaren Käse. Von Italien nach Indien, von der Alp ins Hipster-Bistro. Und ja, auch die Schweiz kommt nicht ungeschoren davon.

Pasta Filata. Klingt wie eine neue Yoga-Retreatsorte aus dem hippen Teil von Zürich – ist aber in Wirklichkeit eine uralte Käsedisziplin, die irgendwo zwischen Thermotherapie, Knetkunst und kontrolliertem Milchwahnsinn spielt. Statt Milch einfach nur reifen zu lassen, wird sie bei Pasta Filata gezogen, gedehnt, gebadet und geschmolzen – kurz: behandelt wie ein verspannter Rücken in der Thai-Massage.
Die Ursprünge? Natürlich Italien. In Kampanien oder Apulien – je nach Legende – stand ein Käser irgendwann vor der Frage: „Was tun mit der übrig gebliebenen Milchmasse?“ Die Antwort: Ab ins heisse Wasserbad, ziehen, kneten, formen – fertig war der Mozzarella. Von „mozzare“, also abschneiden, weil die warmen Käseteile wie Teigbällchen abgezupft werden. Eine Improvisation in der Dorfkäserei, die zur Weltkarriere führte.
Doch Pasta Filata ist längst kein italienisches Exklusivrecht mehr. Die Käsezieher dieser Welt haben sich ausgebreitet wie der Duft von geschmolzenem Fett.
In Mexiko etwa wickelt man sich Queso Oaxaca wie Käseschnur auf den Finger – ein Mozzarella-Zwilling mit Salsa-Temperament. In der Türkei lässt man Dil Peyniri auf dem Grill quietschen, in Armenien wird Chechil wie Festivalarmbänder gezupft und zum Bier gereicht. Indien? Dort ist Paneer zwar nicht gezogen, aber fest gedrückt – immerhin.
Und die Schweiz? Hat lange lieber gepresst als gezogen, lieber gelagert als gebadet. Doch auch hier weht langsam ein cremiger Wind. Ein paar mutige Käseköpfe holen die Pasta Filata aus dem Süden in die Alpen – nicht als Kopie, sondern als kulinarische Hommage mit helvetischer Handschrift.
An der Spitze dieser neuen Bewegung? Eine kleine, weisse Käsekugel mit einem grossen Herz: die Burrata. Das weichste Mitglied der Pasta-Filata-Familie, die uns einen Vorgeschmack auf den nächsten Text serviert – wo sie sich ganz gross rausputzt.

Burrata – das klingt wie ein kleines Dessert, ist aber ein grosser Auftritt in Käseform. Aussen Mozzarella, innen ein Herz aus Stracciatella (nein, nicht das Glacé) und Rahm. Entstanden nicht aus italienischer Laune, sondern aus Not. Apulien, 1956, Winter. Keine Milchtransporte, zu viel Rahm. Also kam ein Käser auf die geniale Idee, Mozzarella-Hüllen mit Rahm und Käsefetzen zu füllen. Das Ergebnis: cremiger als jeder Liebesbrief und weicher als ein italienisches Kissenhotelbett.
Heute gilt Burrata als die Drama-Queen unter den Käsen: Sensibel, verführerisch, extrem launisch bei Lagerung und Genusszeitpunkt – aber wenn man sie richtig behandelt, schmilzt sie Herz und Gaumen im selben Takt.
Und nun? Hat sie einen Schweizer Pass. Und zwar ganz offiziell. Denn ein kleines Startup im freiburgischen Sensebezirk hat sich daran gemacht, die Burrata in die helvetische Käselandschaft zu integrieren. Noula heisst das Unternehmen – und was sie machen, ist mehr als Nachahmung. Es ist Liebeserklärung in doppelter Rahmstärke.
Ihre Version? Aus regionaler Kuhmilch, mit Präzision geformt, gefüllt mit einer cremigen Stracciatella-Mischung, die man auch einfach direkt auslöffeln möchte. Kein Vergleich zu den standardisierten Kühlregal-Burrate, die oft mehr nach Plastikverpackung als nach Italien riechen. Nein, hier wird noch gezogen, gezupft, gefüllt – und mit Gefühl verkauft.
Burrata ist in der Schweiz angekommen – und das nicht als kurzlebiger Foodtrend, sondern als feste Grösse im Herzen von Käsefans. Die Schweiz kann Hartkäse, das wissen wir. Aber Burrata beweist: Wir können auch weich. Und wie!

Hand aufs Herz: Die meisten von uns begegnen Burrata zum ersten Mal wie einem Promi im Coop-Regal. Man erkennt sie, weiss vage, dass sie aus Italien kommt, ist sich aber nicht sicher, ob man sie ansprechen darf – geschweige denn, wie man sie richtig anschneidet. Und dann landet sie, wie bei 97% der Fälle, auf Tomaten mit etwas Basilikum, Olivenöl, fertig. Schön, sicher. Aber auch ein bisschen wie ein Tinder-Date im Park: höflich, vorhersehbar, leicht zu verdauen.
Aber Burrata kann mehr. Viel mehr. Sie ist nämlich kein „Nur-für-den-Salat“-Käse. Sie ist ein Multitalent mit Stracciatella im Herzen. Eine kleine Drama-Queen mit Butterseele. Und sie fühlt sich im Alltag pudelwohl – solange man ihr ein bisschen Bühne lässt.
Zmorge mit Burrata
Wer beim Frühstück noch immer Frischkäse auf sein Vollkornbrötli schmiert, hat Burrata noch nicht in ihrer fluffigsten Form kennengelernt. Einfach aufschneiden, auf warmes Sauerteigbrot setzen, wenig Honig, ein paar geröstete Baumnüsse, fertig ist das cremigste Croque der Welt. Burrata ersetzt nicht nur den Frischkäse, sie adoptiert gleich noch die Butter mit. Ideal für alle, die morgens schon ein bisschen Italien auf der Zunge brauchen – und ein Argument gegen das Büro.
Sauerrahm? Sorry. Heute Burrata.
Ob auf Ofenkartoffeln, gebackenen Rüebli oder lauwarmem Linsensalat: Burrata macht, was Sauerrahm nie geschafft hat – sie bringt Gefühl mit. Während die Crème fraîche meist wie eine Pflichtbeilage daherkommt, legt sich Burrata wie ein Liebesbrief aus Milch übers Gemüse. Und wer einmal heisse Pastinaken mit Burrata, Chiliöl und frischem Peterli probiert hat, will nie mehr zurück in die Rahmschule der 80er.
Pasta will Burrata. Und umgekehrt.
Risotto, frisch gerührt, dampfend – ein Stich Butter? Nein. Ein Löffel Burrata. Noch warm auf den Teller, die Kugel obendrauf, mit dem Löffel leicht öffnen. Was folgt, ist kein Essen. Es ist eine kleine Erleuchtung. Dasselbe gilt für gebratene Pilz-Tagliatelle, Ofengemüse-Nudelpfannen oder – für die ganz Wilden – als Sauce für One-Pot-Linsengerichte. Burrata schmilzt nicht wirklich, sie schmiegt sich. Und genau das braucht die Welt manchmal mehr als noch eine Tomatensauce.
Pizza, aber auf dem Catwalk
Regel Nummer eins: Burrata nie mitbacken. Sie ist kein Backkäse, sie ist eine Ankleidekünstlerin. Pizza Bianca aus dem Ofen nehmen, Pilze drauf, dann Burrata mittendrauf drapieren wie ein Haute-Couture-Accessoire. Wer will, träufelt Chiliöl oder ein paar Tropfen Trüffel über die Szene. Danach: aufschneiden, zusehen, geniessen. Es ist nicht Pizza – es ist Pizzatheater.
Und zum Dessert: Natürlich auch Burrata.
Ja, du hast richtig gelesen. Burrata kann süss. Grillierte Pfirsiche, ein Löffel Burrata, ein Hauch Honig und schwarzer Pfeffer – und fertig ist das Dessert, das selbst Tiramisu die Show stiehlt. Auch zu Ofenfeigen, mit Balsamico und Pistazien, macht sie eine derart gute Figur, dass man sich fragt, warum sie nicht längst in jede Pâtisserie gehört.
Und genau da – irgendwo zwischen One-Pot-Komfortzone und Gourmet-Verführung – wird klar: Burrata ist kein Käse, sie ist ein Konzept. Sie macht Alltagsgerichte zu Highlights, ersetzt cremige Komplizen mit links, ist schneller als jede Sauce hollandaise und sinnlicher als jedes kalorienreduzierte Aufstrich-Derivat. Und wenn du denkst, das war’s – denk noch mal. Denn während du deine Burrata gerade in den warmen Hummus löffelst oder in eine Ofenkartoffel versenkst, sitzen die Chefs der Spitzengastronomie schon in den Startlöchern. Sie denken Burrata nicht nur, sie dekonstruieren sie.

Wenn Burrata den Alltag verlässt und sich in Richtung weisse Tischwäsche, Pinzettenservice und Degustationsmenü bewegt, beginnt ihre Transformation. Aus der rahmigen Kugel, die eben noch auf geröstetem Brot neben Tomatenscheiben posierte, wird eine Diva mit Timing. In der Spitzengastronomie ist Burrata keine Beilage mehr – sie ist Ereignis. Hier wird sie nicht einfach serviert, sondern inszeniert. Der Moment, in dem sie mit einem silbernen Löffel aufgebrochen wird, ist dramaturgisch durchkomponiert. Das Stracciatella-Innere fliesst nicht einfach heraus – es tritt auf. Umspült von einer Vinaigrette aus verbrannter Zitrone, gebettet auf fermentierter Rande, flankiert von getrüffeltem Tannenöl. Und während der Gast noch überlegt, ob das jetzt Vorspeise, Käsegang oder Epiphanie war, hat die Burrata längst die Bühne übernommen.
Die Spitzengastronomie hat erkannt, was viele noch unterschätzen: Burrata ist kein Käse für faule Sonntage, sondern ein Element, das Textur, Temperatur und Emotion ins Spiel bringt. Wo alles knuspert, ist sie weich. Wo alles sauer ist, ist sie milde Umarmung. Sie bringt Ruhe in den Teller, Poesie in die Komposition, und manchmal sogar einen kleinen Anflug von Sentimentalität, wenn der Löffel durch das elastische Äussere gleitet. Und dann fliessen Doppelrahm und Käsefäden wie ein letzter Liebesbrief aus Apulien.
Dabei hat sich die Burrata längst emanzipiert: Sie kommt nicht mehr nur mit Basilikum aus – heute liegt sie unter Miso-Aubergine, kuschelt sich an glasierte Linsen mit Balsamico-Reduktion oder wird eiskalt zur Kugel geschlagen, die auf heisse Kalbsjus gesetzt wird. Sie wird eingefroren, getrocknet, aufgeschäumt oder fermentiert. Sie trägt plötzlich Geschmacksnoten von Rauch, Pilz oder Zitrus, ohne ihre Cremigkeit zu verlieren. Man könnte fast sagen: Sie ist der Daniel Brühl unter den Käsen – wandelbar, stets präsent und immer ein bisschen besser als man erwartet hätte.
Auch hier in der Schweiz ist Burrata längst angekommen. Und wie! Unsere einheimischen Spitzenköche lassen sich nicht lumpen: In Zürich, Bern oder Lausanne findet man Burrata längst nicht mehr auf langweiligen Salatbeeten, sondern als Kernstück eines kreativen Küchenkonzepts. Eingebacken in Brotteig, schwebend in Suppen, kombiniert mit Lardo vom Alpschwein oder veredelt mit Haselnussöl und eingelegten Preiselbeeren – was sich nach Käse-Übermut anhört, ist längst präzise Handwerkskunst. Und mittendrin: Schweizer Burrata. Kein Kompromissprodukt mehr, sondern Mitspielerin auf Augenhöhe. Einheimisch, frisch, charaktervoll. Und ja, cremiger als manches importierte Original.

Was geblieben ist, ist das Herz. Die Essenz. Der Moment. Egal ob in der Osteria in Apulien oder im Zwei-Sterne-Restaurant in Zürich – wenn Burrata aufbricht, der Rahm ausfliesst, die Gäste innehalten und das erste Ah durch den Raum geht, dann weiss man: Hier passiert gerade etwas Echtes. Keine Effekthascherei, kein Käseclown. Sondern pure, weisse, rahmige Wahrheit.
Und genau das ist ihre grösste Kunst: Sie bleibt, was sie ist. Milch. Geduld. Wärme. In einer Welt, in der alles drapiert, gefriert und dekonstruiert wird, bleibt sie ein runder Ruhepol. Eine kulinarische Meditation in einer Welt voller Schäumchen.
Also: Wer glaubt, Burrata gehöre nur in die Käsetheke neben Mozzarella, der hat sie nie flüstern gehört in einem Menü mit acht Gängen. Der hat nie gesehen, wie ein Küchenchef mit Handschuhen ihre Hülle zupft, ihren Kern prüft, sie wie einen Schatz in Szene setzt. Burrata ist nicht nur ein Käse. Sie ist ein Bekenntnis. Und manchmal – ja, manchmal sogar der Star des ganzen Abends.