Die Aubergine. Oder wie sie auf Italienisch heisst: Melanzani. Was immerhin elegant klingt, auch wenn sie im hiesigen Alltag meist recht unelegant daherkommt. Etwas runzelig, oft zu bitter, entweder zu schwammig oder zu zäh – und nie wirklich der Star auf dem Teller. Seien wir ehrlich: Die Aubergine ist nicht gerade das Gemüse, das uns in der Gemüseabteilung fröhlich ins Gesicht lacht. Eher das, das wir betreten anschauen und mit dem Einkaufswagen vorsichtig umfahren. Und doch – sie hat meine Aufmerksamkeit wieder geweckt.
Denn – und hier wird’s historisch – die Aubergine hat eine bemerkenswerte Reise hinter sich. Ursprünglich stammt sie aus Indien. Dort wurde sie schon vor über 4’000 Jahren kultiviert. Von dort aus schaffte sie es über Persien und Arabien ins Mittelmeergebiet – dank Handelsrouten, Gewürzkarawanen und neugierigen Gaumen. Die Araber brachten die Aubergine im 8. Jahrhundert nach Spanien. Und dann, ein paar Jahrhunderte später, fand sie endlich auch den Weg zu uns – in die Schweiz. Vielleicht nicht im Triumphzug, aber immerhin.
Und warum zur Hölle nennt man sie auch "Eierfrucht"? Nun – in ihrer ursprünglichen Form war sie kleiner, rundlicher, heller – fast weiss. Sie sah tatsächlich ein bisschen aus wie ein Ei. So entstand der Name "eggplant", den die Engländer bis heute verwenden. Und wir? Wir hielten uns an das französische Wort – immerhin klang das besser als "Ei-Gemüse".
Aber zurück zur Schweiz. Hier hat sie sich schwergetan. Das Klima – eher mässig auberginenfreundlich. Die Vorliebe der Schweizer Küche – eher zurückhaltend-exotisch. Und so fristet die Aubergine ihr Dasein meistens irgendwo zwischen einem Zucchini-Schatten und der ewigen Hoffnung auf einen mediterranen Sommerabend. Zu Unrecht, finde ich.
Denn die Aubergine ist nicht nur vielfältig, sie ist ein kleines kulinarisches Chamäleon. Es gibt über 800 Sorten – in Weiss, Lila, Gestreift, Lang, Rund, Klein, Gross. Und sie alle haben Charakter. Ja, richtig gelesen. Charakter.
Ich gebe zu, auch bei mir war sie oft nur eine Notlösung. Oder schlimmer: eine Dekoration im Gemüsefach. Aber nachdem ich mich intensiver mit ihr befasst habe – und das meine ich wörtlich, denn sie braucht Aufmerksamkeit – habe ich wieder richtig Lust bekommen. Lust, mit ihr zu kochen, zu experimentieren, sie zu verstehen.
Und wenn du jetzt denkst: "Ach, Aubergine, nein danke" – dann bleib noch einen Moment. Vielleicht – nur vielleicht – wirst du dich auch ein bisschen verlieben. Oder zumindest wieder mal Lust auf Lila verspüren.

Bevor sie in unserem Gemüsefach zwischen Fenchel und Rüebli langsam weich wird, hatte sie ein ziemlich bewegtes Leben hinter sich – die Aubergine. Kaum zu glauben, dass dieses violette Wunder eigentlich eine Weltbürgerin ist. Ihre Wurzeln? Tief in Indien. Schon vor mehr als 4’000 Jahren wussten die Inder, was sie an ihr hatten: Sie nannten sie vatinganah, was wahlweise nach einer Heldin oder einer Gewürzmischung klingt – aber in beiden Fällen klingt es nach etwas, das man respektieren sollte.
Von dort wanderte sie weiter in den Fernen Osten, wo sie in China spätestens ab dem 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in Tontöpfen und auf Holzkohle gegrillt wurde. Die Chinesen schätzten sie als „Schönmacher“, nicht nur für den Gaumen, sondern auch für den Teint. Wer also glaubt, Beauty-Food sei eine Erfindung von Instagram – nein, das hat die Aubergine schon früher gewusst.
Später – deutlich später – kam sie über den Nahen Osten nach Nordafrika, wo sie auf Gewürze, Sonne und offene Feuer traf. Und dann, irgendwann im 8. Jahrhundert, segelten die Mauren mit ihr im Gepäck über das Mittelmeer. Sie brachten nicht nur Mathematik, Philosophie und die Zitronen nach Spanien, sondern eben auch: die Aubergine. ¡Gracias!
Die Spanier waren begeistert. Die Italiener gleich doppelt. Und wer heute in Sizilien eine Parmigiana di Melanzane auf dem Teller hat, spürt bis heute, wie viel Liebe und Stolz in dieser lila Frucht steckt. Kein Wunder, dass sie im Süden schnell zum Alltagsstar wurde – sie saugt Olivenöl auf wie ein Schwamm, liebt Tomatensauce wie ein Teenager Pasta und lässt sich mit Parmesan überbacken, als gäbe es kein Morgen.
Und wir? Wir haben uns ein bisschen schwergetan. Vielleicht, weil uns niemand gesagt hat, dass man sie nicht einfach wie einen Apfel roh essen kann. Vielleicht, weil wir auf Knackiges stehen. Oder weil ihre zarte Bitterkeit nicht so recht zu Cervelat und Rösti passen wollte. Aber vergessen wir nicht: Die Aubergine wurde nicht für Schüchternheit gezüchtet – sondern für Temperament, Hitze und Geschmacksexplosionen. Es ist an der Zeit, sie aus der Nebenrolle zu befreien. Denn während sie in Mumbai mit Masala tanzt, in Palermo in Olivenöl badet und in Valencia mit Knoblauch flirtet, wartet sie bei uns noch immer auf ihren grossen Auftritt. Und ich finde: Den hat sie mehr als verdient.

Hand aufs Herz: Die Aubergine kann was. Aber sie ist… nun ja… sagen wir’s ehrlich: eine kleine Diva. Eine, die nicht gerne gehetzt wird. Die sich nicht roh einfach so vernaschen lässt. Eine, die Raum braucht – und Salz.
Denn genau da liegt der Hund begraben. Oder besser gesagt: das bittere Missverständnis. Viele von uns haben die Aubergine genau einmal in ihrem Leben gekocht – sie aufgeschnitten, gewürfelt, vielleicht direkt in die Pfanne geworfen. Was dann kam, war ein matschiger, schleimiger Haufen mit einem Aroma irgendwo zwischen Pappkarton und warmem Spülschwamm. Kein Wunder, dass danach keiner mehr Lust hatte auf eine zweite Runde.
Doch hier kommt der Trick, der alles ändert: Salz.
Nicht irgendein bisschen draufgestreut, sondern ernst gemeint. Grosszügig. Mit Gefühl. Die Aubergine muss schwitzen. Richtig. Denn das Salz entzieht ihr nicht nur die Bitterstoffe, sondern auch einen Teil des Wassers, das beim Braten später zu diesem unglücklichen Gummischleim wird. Mindestens 20 bis 30 Minuten ziehen lassen – dann sanft abtupfen. Sie wird es dir danken.
Und dann: heiss anbraten. Keine halbe Hitze. Kein Dampfbad. Sondern schön Röstaromen, Olivenöl und Selbstvertrauen. Ja, sie saugt sich voll – aber das ist kein Fehler, das ist Charakter. Wer sie vorher salzt, nimmt ihr genau diesen unkontrollierten Durst. Wer sie liebt, lässt sie brutzeln, bis sie goldbraun ist und ihre samtige, butterweiche Seite zeigt. Dann – und nur dann – zeigt sie, was sie wirklich kann.
Denn nein, schleimig will sie nicht sein. Sie ist es nur, wenn man sie ignoriert, hastig zubereitet oder mit zu viel Flüssigkeit ertränkt. Und ja, ich gebe es zu: Ich war selbst einer von diesen „Auberginen-Hoppern“. Kurz rein ins Gemüsefach, dann doch wieder raus. Doch je besser ich sie kennenlerne, desto mehr bewundere ich ihre Feinfühligkeit. Wer sie respektiert, bekommt eine unglaubliche Küchenpartnerin. Eine, die würzig, zart und umami in einem sein kann. Die sich in jedes Gericht schmeichelt – aber nie den Mittelpunkt stiehlt.
Also: nächstes Mal nicht gleich verzweifeln, wenn sie sich wieder ein bisschen zickig gibt. Die Aubergine braucht bloss ein bisschen Zuwendung. Und eine Prise Salz – fürs Ego.

Auberginen wollen Sonne. Viel Sonne. Und ein bisschen Hofknicks.
Wenn du der Aubergine einen Platz in deinem Garten geben willst – Gratulation! Du bist entweder mutig, verliebt oder hast ganz einfach genug von wässrigem Supermarktgemüse mit mehr Luftmeilen als Aroma.
Aber Achtung: Die Aubergine ist kein einfacher WG-Mitbewohner. Sie ist anspruchsvoll. Sonnenverwöhnt. Temperamentvoll. Eben mediterran. Sie braucht Wärme, viel Licht, und noch mehr Wärme. Wer also im Mai ungeduldig mit Setzlingen im Hochbeet rumfuchtelt, während es nachts noch auf 7 Grad runterkühlt – sorry, das ist kein Match. Diese Lady friert schnell, schmollt und wirft im schlimmsten Fall einfach alles ab.
Ideal ist ein geschützter Ort, gerne mit etwas Windstille und einem gut durchlässigen, nährstoffreichen Boden. Noch besser: ein Hochbeet oder – für Anfänger – ein grosser Topf auf dem sonnigsten Balkon. Wichtig: regelmässig giessen, aber bitte nie ertränken. Die Wurzeln sind sensibel, keine Schwimmer.
Die Ernte? Sobald die Früchte ihre satte, glänzende Farbe haben – egal ob lila, weiss, grün oder gestreift – kannst du sie vorsichtig abschneiden. Und bitte: nicht warten, bis sie riesig und ledrig sind. Das ist kein Zucchini-Wettbewerb. Zu spät geerntet wird die Schale zäh und das Aroma… sagen wir: funktional. Zu früh? Bitter. Zu spät? Leder. Dazwischen? Perfekt.
Und jetzt das grosse Missverständnis: die Lagerung. Auberginen mögen’s nicht kalt. Also bitte nicht gleich nach der Ernte in den Kühlschrank stopfen. Bei Temperaturen unter 10 Grad wird sie traurig – und weich, aber nicht auf die gute Art. Ideal sind 10–13 Grad und ein bisschen Luft. Keller? Perfekt. Frische Luft, keine Zugluft. Und möglichst bald verwenden – die Diva ist kein Langzeitgast.
Am besten schmeckt sie sowieso, wenn sie nach der Ernte gleich ins Olivenöl hüpfen darf.

Es gibt in der Küche diese Dreierkombinationen, die man nicht auseinanderreissen darf. Nicht weil es verboten wäre, sondern weil es schlicht und einfach keinen Sinn ergibt. Wie Tomate, Mozzarella und Basilikum. Oder bei uns: Aubergine, Zucchini und Peperoni. Wobei man in der Schweiz – korrekt – "Peperoni" sagt, während unsere deutschen Freunde "Paprika" meinen, wenn sie "Peperoni" sagen. Nur eben: nicht das Gewürz. Sondern die Schote. Klingt verwirrend? Willkommen im Alltag einer Schweizer Aubergine.
Diese heilige mediterrane Gemüse-Trinität landet vom Piemont bis nach Athen in beinahe jedem Schmortopf. Die Italiener nennen’s Caponata, die Franzosen Ratatouille, die Griechen Briam, die Spanier Pisto. In allen Ländern schmeckt es ein wenig anders – aber die Basis ist immer: Hitze, Olivenöl, Knoblauch. Und Zeit. Denn das Geheimnis dieser Gerichte liegt nicht im Timing, sondern in der Geduld. Und im Herzblut. Also nichts für den schnellen 12-Minuten-Meal-Prep.
Während wir im Westen also schmoren, rösten, dünsten und mit frischen Kräutern um uns werfen, geht man im Nahen Osten noch einen Schritt weiter. Aubergine wird dort zur Hauptdarstellerin: gegrillt, geräuchert, zerdrückt, püriert – serviert als Baba Ghanoush, gefüllt in Imam Bayildi, eingelegt, gebacken oder einfach nur auf Fladenbrot mit Sesampaste. Und gewürzt? Mit Sumach, Kreuzkümmel, Zatar, Zimt oder Minze. Da trifft Erde auf Feuer, Rauch auf Säure – und niemand fragt nach Zucchini.
Ganz anders übrigens in Indien oder Südostasien. Da wird die Aubergine scharf. Und laut. Sie badet in Curry, taucht in Kokosmilch und schliesst sich mit Chili, Ingwer, Senfsamen und Kurkuma kurz. Von Samt ist da nicht viel zu spüren – eher von Drama. Und das steht ihr ziemlich gut.
Aber zurück in die Schweiz. Wo die Aubergine leider oft in ihrer langweiligsten Form daherkommt: wässrig gebraten, mit zu wenig Öl, zu wenig Würze, zu wenig Liebe. Fast wie ein fader Kompromiss zwischen Beilage und Deko. Kein Wunder, dass sie es im Gemüsefach so schwer hat. Zum Glück gibt es auch hier Ausnahmen. Und die beginnen meist dort, wo die Alltagsküche aufhört – in der Spitzengastronomie.

Wenn man einem Gemüse beim Aufstieg zusehen will, dann der Aubergine. Noch in den 80er-Jahren in unseren Breitengraden wahlweise ertränkt in Bechamelsauce oder als traurige Grillbeilage verkannt, steht sie heute auf den Menüs der besten Köche des Landes. Inzwischen ist sie sogar dort angekommen, wo sie als Kind aus dem Ofen hätte bleiben sollen: in der Mitte des Tellers.
Die neue pflanzliche Küche, sie hat nicht nur Salatblätter und Linsen hervorgebracht. Nein, sie hat vor allem eines geschafft: die Aubergine zu retten. Nicht moralisch – kulinarisch. Sterne- und Spitzenköch*innen in Paris, Kopenhagen, Zürich oder Wien zaubern daraus heute geräucherte Tatar-Imitate, vegane Terrinen oder schwarze Perlen aus Auberginenkaviar.
Sie wird glasiert, karamellisiert, vakuumiert, fermentiert. Manche backen sie so lang im Ofen, bis sie sich selbst aufgibt, andere brennen sie mit dem Bunsenbrenner an, um ihr Drama zu verleihen. Bei manchen Köchen bekommt sie sogar den japanischen Miso-Lack – salzig, süss, dunkel glänzend wie ein Opernballkleid. Und plötzlich… fehlt nichts. Kein Fleisch, kein Fisch, kein Kompromiss.
Der Auberginen-Boom in der Spitzengastronomie kommt dabei nicht aus Zufall. Sie hat – ganz unauffällig – etwas, das sich viele Lebensmittel wünschen würden: Umami. Diese geheimnisvolle fünfte Geschmacksrichtung, die irgendwo zwischen „wohlig warm“ und „bittersüss komplex“ liegt. In der Aubergine wohnt sie. Still, aber tief.
Natürlich braucht die Aubergine in der gehobenen Küche auch einen Verbündeten: den Koch oder die Köchin mit Neugier und Respekt. Denn sie ist empfindlich.das kennen wir ja schon und das ist auch bei den Sternenköchen nicht anders. Wird sie zu früh gesalzen, wird sie schwammig. Zu heiss gebraten – bitter. Zu wenig geliebt – belanglos. Und doch: Wer sich auf sie einlässt, erlebt ein Gemüse, das mehr kann als „gesund“. Die Aubergine kann verführen, überraschen, tragen. Manche würden sagen, sie sei das Chanson unter den Gemüsen. Oder die Edith Piaf auf dem Teller. Leise, dramatisch, und mit einem Nachklang, der bleibt.

Also ja. Ich geb’s zu. Wir hatten unsere schwierigen Momente, die Aubergine und ich. Dieses schwammige, leicht schleimige Kapitel nach dem Zuviel an Hitze und dem Zuwenig an Geduld – das sitzt. Aber nach dieser kleinen kulinarischen Versöhnungsreise bin ich ehrlich gesagt… wieder ziemlich verliebt. Nicht auf diese laute, feurige Art. Sondern leise, beständig, mit Respekt.
Denn wenn man sie einmal verstanden hat – ihre Herkunft, ihre Zartheit, ihre Vielseitigkeit – dann ist sie nicht nur Beilage. Dann ist sie ein Statement. Ein Gemüse mit Geschichte, Charakter und ziemlich viel Potenzial. Und vielleicht findet sie ja auch wieder öfter den Weg in mein Gemüsefach. Dieses Mal nicht aus Pflichtgefühl. Sondern mit echtem Appetit. Auf neue Aromen, alte Geschichten und eine stille Hauptdarstellerin, die nur darauf wartet, endlich ernst genommen zu werden.