Fenchel – das verkannte Wunderknollchen


 

Fenchel. Schon beim Klang verziehen viele Kinder – und auch einige Erwachsene – unwillkürlich das Gesicht. „Bäh, das riecht nach Hustentee“, hört man oft, wenn die ersten dünnen Scheiben auf dem Teller landen. Und ja, Fenchel ist kein Everybody's Darling. Eher ein schüchterner Gast auf dem Markt, der sich hinter Karotten und Tomaten versteckt, mit dem leicht parfümierten Duft einer italienischen Nonna, die zu viel Anislikör genascht hat.

 

Warum also tun sich so viele schwer mit ihm? Vielleicht, weil Fenchel nicht sofort gefällig ist. Kein Gemüse, das sich anschmeichelt. Sondern eines, das Haltung hat. Charakter. Kinder mögen ihn nicht gleich, weil er nicht „nach Gemüse“ schmeckt – sondern nach Fenchel. Und Erwachsene vergessen ihn oft beim Einkauf, weil sie nicht wissen, was er alles kann.

 

Dabei ist der Fenchel ein echtes Multitalent. Verdauungsfreundlich, vitaminreich, entzündungshemmend – und ob roh, geschmort, gebraten oder als Tee: Er ist ein stiller Gesundheitsheld. Ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammend, hat er längst europäische Küchen gekapert – aber eher im Hintergrund. Jetzt ist es Zeit, ihm die Bühne zu geben, die er verdient. Denn Fenchel kann Revolution. In der Küche, auf dem Teller, und ganz leise auch im Kopf.

 

In den kommenden Kapiteln schauen wir genauer hin: Woher er kommt, was ihn so gesund macht – und wie man ihn so zubereitet, dass selbst die grössten Fenchel-Skeptiker schwach werden.



Bevor der Fenchel seinen grossen Auftritt in Schweizer Beeten und Küchen hatte, war er ein echter Mittelmeer-Typ. Sonne, Meeresbrise, karge Böden – das war sein Ding. Schon die alten Griechen kannten ihn. Sie nannten ihn „marathon“ – ja, genau wie das berühmte Rennen. Denn angeblich wuchs er dort, wo der tapfere Bote nach der Schlacht zusammenbrach. Ob’s stimmt? Historisch fraglich. Poetisch: absolut.

 

Die Römer jedenfalls waren Fans. Sie nutzten Fenchel als Gewürz, Heilmittel und manchmal sogar als Diät-Hilfe – Gladiatoren sollen auf Fenchelsamen gekaut haben, um das Hungergefühl zu zähmen. Irgendwann, im Lauf der Jahrhunderte, begann der Fenchel seinen Marsch nach Norden. Über Klostergärten – natürlich, wo sonst? – kam er langsam in den Alpenraum. Mönche schätzten seine heilende Wirkung und säten ihn zwischen Salbei, Peterli und Kamille. Und weil er nicht nur heilte, sondern auch überlebte – selbst bei rauerem Klima – blieb er. Still, genügsam und treu.

 

In die privaten Gärten der Schweiz fand er es später nicht leicht. Der Fenchel war nie wirklich „en vogue“. Während Bohnen und Rüebli längst als Grundnahrungsmittel galten, blieb der Fenchel lange ein Exot – eher Apothekerschrank als Kochtopf. Doch dann kam die Bio-Bewegung, das neue Interesse an mediterraner Küche, und plötzlich stand er da – in voller Knollenpracht – und sagte: „Salut, ich bin zurück.“

 

Heute wächst er in vielen Schweizer Gärten, besonders in wärmeren Lagen und mit ein bisschen Liebe. Und wer ihn einmal selbst geerntet hat, weiss: Fenchel schmeckt nach Sommer. Nach Geschichte. Nach einem Gemüse, das mehr zu erzählen hat als die meisten.



Wenn Gemüse ein Bewerbungsschreiben hätte, der Fenchel würde gleich mit seiner Nährstoffliste angeben. Und das zu Recht. Denn in dieser unscheinbaren Knolle steckt eine Apotheke in Gemüseform: Vitamin C für ein starkes Immunsystem, Kalium für den Blutdruck, Kalzium für die Knochen und Folsäure – ganz wichtig, nicht nur für Schwangere. Dazu Ballaststoffe, die im Darm freundlich durchkehren, und sekundäre Pflanzenstoffe, die Entzündungen dämpfen, als würden sie mit einem feuchten Tuch drüberwischen.

 

Besonders spannend: die ätherischen Öle. Anethol, Fenchon, Estragol – das klingt wie ein Zaubertrank aus einem alten Kräuterbuch, ist aber genau das, was Fenchel seinen unverwechselbaren Duft und seine Wirkung verleiht. Diese Öle beruhigen den Magen, lindern Blähungen, helfen bei Husten – und machen den Fenchel zum Liebling der Naturheilkunde. Ob als Tee für Babys oder als Dampfbad für gereizte Nasen: Fenchel kann viel.

 

Aber – und jetzt kommt der kleine Haken – nicht jeder verträgt ihn gleich gut. In seltenen Fällen können die ätherischen Öle zu allergischen Reaktionen führen. Und weil Estragol in sehr hoher Dosis im Verdacht steht, leberschädigend zu wirken, raten Fachleute dazu, Fenchelsamentee nicht literweise und nicht täglich zu trinken – vor allem nicht bei Kindern. Massvoll geniessen ist also die Devise.

 

Die gute Nachricht: Wer Fenchel als Gemüse zubereitet, kann unbesorgt zugreifen. Da ist die Konzentration der Öle gering und der Nutzen umso grösser.

Kurz gesagt: Fenchel ist ein echter Gesundheitsbooster – aber wie bei allem Guten gilt auch hier: nicht übertreiben, sondern bewusst geniessen. Dann wird aus der Knolle ein wohltuender Alltagsheld.



Kinder und Fenchel – das ist oft Liebe auf den zweiten, dritten oder gar keinen Blick. Das Problem: Der Fenchel kommt nicht schüchtern daher. Er duftet. Laut. Nach Anis, nach Tee, nach „krank sein“. Kein Wunder, dass viele Kinder beim ersten Biss das Gesicht verziehen, als hätte man ihnen Seifenlauge serviert. Aber: Geschmack ist erlernbar. Und Fenchel kann sich anpassen.

 

Der Trick? Bloss nicht pur und bloss nicht predigen. Fenchel will sich einfügen, nicht aufdrängen. In feine Streifen gehobelt und mit Apfel gemischt – plötzlich wird aus der Knolle ein süsslich-knackiger Salat. Oder als cremiges Fenchelpüree unter Kartoffelstampf geschmuggelt – kein Kind merkt’s. Auch fein geschmort mit Tomaten oder versteckt in einer Lasagne-Füllung zeigt er sich von seiner sanften Seite. Wenn’s brutzelt und duftet wie Ferien in Italien, wird sogar der skeptischste Nachwuchs neugierig.

 

Und die Erwachsenen? Müssen oft ein bisschen umdenken. Wer Fenchel nur als bitteres Kindheitstrauma kennt, hat ihn vielleicht einfach noch nie richtig zubereitet bekommen. Also: Nicht gleich an den Teebeutel denken. Sondern an Ofenfenchel mit Zitrone und Parmesan. Oder an ein Risotto mit Fenchel und Safran. Sich selbst überraschen – das ist das Geheimnis.

 

Fenchel braucht nicht viel, nur eine faire zweite Chance. Und wer ihm die gibt, wird plötzlich feststellen: Der schmeckt ja. Und zwar besser, als man je erwartet hätte.



Lange war Fenchel der Underdog. Das Gemüse, das am Buffet übrig blieb, während sich alle auf die Kartoffelgratin stürzten. Doch mittlerweile hat er sich still und leise hochgearbeitet – bis in die Töpfe der Sterne-Köche. Dort wird er nicht mehr versteckt, sondern ins Rampenlicht gerückt: als feine Creme unter gebratenem Fisch, als Sorbet mit Gin zum Zwischengang oder hauchdünn mariniert mit Yuzu und Fenchelpollen als amuse bouche. Fenchel darf jetzt glänzen. Und das zu Recht.

 

Warum? Weil er gleichzeitig klar und subtil schmeckt. Weil er Struktur hat, aber nie aufdringlich ist. Und weil er sich hervorragend kombinieren lässt – nicht nur in der Spitzengastronomie, sondern auch bei dir zu Hause.

 

Was passt also zum Fenchel? Überraschend vieles. Klassiker zuerst: Orangen! Die süss-säuerliche Fruchtigkeit bringt die ätherischen Noten des Fenchels richtig zum Leuchten. Dazu ein Hauch Honig, etwas Zitronenzeste – und du hast einen Salat, der nach Sommerferien ruft. Auch gut: Fenchel mit Lachs, roh oder geräuchert. Oder mit Ziegenfrischkäse, Walnüssen und einem Spritzer Balsamico.

Weniger bekannt, aber umso spannender: Fenchel und Birne. Oder Fenchel mit Safran. Oder Fenchel mit Pastinake in einer feinen Suppe. Wer’s würziger mag, kombiniert ihn mit Chorizo oder Curry. Auch gut: Ein feines Fenchel-Chutney zu grilliertem Fleisch oder ein Fenchelsud als Basis für ein Risotto.

 

Die Sterne-Küche hat’s vorgemacht – wir dürfen ruhig mutig nachkochen. Fenchel kann mehr, als viele glauben. Man muss ihm nur zutrauen, zu überraschen.